Mittwoch, 12. Mai 2010

Hochschulreform der Medizin - Das Ministerium kennt keine Bachelors

Auf einer Berliner Tagung, zu der die medizinischen Fakultäten eingeladen hatten, geschah gerade Merkwürdiges. Diskutiert wurde dort die Frage, ob auch das Medizinstudium im Sinne von Bologna reformiert werden sollte, ob es also demnächst statt Ärzten auch noch „Bachelors of Medicine“ geben solle. Das wäre ja, da in der Hochschulpolitik alle entscheidenden Kräfte vom guten Sinn der Reformen überzeugt sind, ganz folgerichtig. Wenn etwas gleichermaßen für Archäologen, Maschinenbauer, Slawisten und Biochemiker gut ist, weshalb sollten dann nicht auch Zahnärzte davon profitieren?
Doch dann wurde berichtet, die Mediziner hätten all die Probleme gar nicht, die zu lösen die Bolognisierung verspricht: hohe Studienabbruchszahlen, fehlende europäische Mobilität, fehlender Berufsbezug des Studiums. Der bayerische Wissenschaftsminister, Ludwig Spaenle, befand zudem, Bologna habe eine „gemischte Bilanz“ vorzuweisen, vor allem aber gebe es Berufsfelder, auf denen hoheitliche Prüfung unabdingbar sei. Architekten, Juristen, Lehrer und Mediziner müssten mit dem Staatsexamen abschließen. Der Minister sprach dabei in seinem viertelstündigen Vortrag so oft vom dringenden Bedürfnis an „Qualitätssicherung“ in manchen Studienfeldern, dass man sich fast fragte, weshalb dieses Bedürfnis denn bei Betriebwirten, Psychologen, Historikern oder Ingenieuren nicht bestehen soll.

Im Supermarkt der Reform

Es kam noch besser. Denn später trat auch Margret Wintermantel auf, die Präsidentin der deutschen Hochschulrektorenkonferenz (HRK), wo ja die Lordsiegelbewahrer des Bologna-Prozesses sitzen, die seit Jahren von seinen Erfolgsaussichten und seinen Erfolgen berichten. Sie nun ließ wissen, dass man seitens der HRK gar nicht beabsichtige, den Medizinern die „Bologna-Architektur“ überzustülpen. „Wer bin ich denn, das zu verlangen?“ Ja, richtig, wer ist sie denn? Oder besser: Wer waren sie und die ihren denn, es bei allen anderen Fächern zu tun? Aber sei’s drum, beißen wir uns nicht in vergangenen Kämpfen fest, wenn eine so hochmögende Präsidentin selber Bologna nur noch als gutgemeinten Vorschlag, als Werkzeugkasten bezeichnet, in dem – „Schauen Sie sich die Möglichkeiten der Studienreform an“ – auch Mediziner gewiss das eine oder andere Gute finden würden. Damit nicht genug. Zuletzt teilte nämlich Annette Widmann-Mauz, Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, auf das es in dieser Sache letztlich ankommt, ganz unmissverständlich mit: Eine Bachelorisierung des Zugangs zum Arztberuf werde es keinesfalls geben, dagegen stünden nicht nur europäische Vereinbarungen, sondern auch alle vernünftigen Erwägungen.
So kann man über die Bologna-Reformen also auch reden: Sie waren nur eine Reformanregung, wenn es um wirklich wichtige Dinge geht, keine hilfreiche, man muss erst prüfen, ob es Probleme gibt, bevor man mit Lösungen kommt, und überhaupt sitzen die Einzigen, denen Bologna vollkommen einleuchtet, in den Bildungsministerien und Hochschulleitungen, überall dort hingegen, wo Fachleute sitzen, ist man gar nicht so begeistert.

Reformbedarf jenseits von Bologna

So weit, so verständig. Was in der Berliner Tagung allerdings auch zur Sprache kam und festgehalten werden sollte, ist, dass die Kritik am anschauungslos übergestülpten Reformunfug nicht dazu herhalten darf, die Zustände in den Fächern zu verklären. Und hier wäre viel über die Medizin zu sagen. Die klinische Ausbildung liegt im Argen, nicht nur die Kassenpatienten sehen den Herrn Professor selten. Der Kampf um Ressourcen dominiert ganze akademische Karrieren zwischen Universität und Krankenhaus. Die Weisungshierarchien sind – für eine Wissenschaft, aber auch im Vergleich zu Kliniken in anderen Ländern – abenteuerlich. Im Curriculum will man von „Bedside teaching“, also der professionellen Vorbereitung auf den Beruf zugunsten der wissenschaftlichen Grundlegung oft nichts wissen. Oder man erfindet Fächer wie „Umweltmedizin“, um sich praktisch zu geben.
Nicht der Absolvent des deutschen Medizinstudiums an sich ist darum im Ausland beliebt, sondern der deutsche Facharzt, der sich draußen weitergebildet hat. Die Mediziner müssen insofern aufpassen, über der berechtigten Abwehr des Bologna-Modells nicht in blindes Selbstlob zu verfallen. So sehr es zutrifft, dass nicht geheilt werden muss, was nicht krank ist, und dass selbst eine schwere Krankheit nicht jede Art von Therapie rechtfertigt, so sehr kann umgekehrt nicht aus der Kurpfuscherei von Reformern schon auf die Gesundheit des Patienten geschlossen werden.

Quelle: www.faz.net, 19.03.2010, von Jürgen Kaube

Dienstag, 4. Mai 2010

Koronarangiographie - Herzmedizin geht fahrlässig in die Vollen


Die Kardiologen stehen seit geraumer Zeit im Verdacht, die Herzkranzarterien ihrer Patienten zu häufig mit dem Katheter zu durchleuchten. Denn wie aus etlichen Erhebungen hervorgeht, verläuft die Suche nach schweren, den Blutstrom behindernden Engpässen dabei oft ergebnislos. Zum gleichen Ergebnis kommt nun eine aktuelle Analyse aus den Vereinigten Staaten, für die Daten von knapp 400.000 mit Herzkatheter untersuchten Männern und Frauen zugrunde gelegt wurden. Berücksichtigt wurden nur Personen, bei denen kein Notfall vorlag und bei denen auch noch keine Verengung der Herzkranzarterien, eine koronare Herzkrankheit, festgestellt worden war.
Wie die Autoren um Manesh Patel vom klinischen Forschungsinstitut der Duke-Universität in Durham/North Carolina im „New England Journal of Medicine“ (Bd. 62, S. 886) berichten, förderte die Katheteruntersuchung - die Koronarangiographie - lediglich in einem guten Drittel der Fälle behandlungsbedürftige Engstellen zutage. Bei einer vergleichbar großen Gruppe fanden die Kardiologen keine und bei rund einem Fünftel der Patienten lediglich geringfügige Strömungshindernisse in den Herzkranzarterien. Auch hatten sich 84 Prozent der Patienten vor der Gefäßdurchleuchtung bereits einem anderen Verfahren zum Nachweis von Gefäßengpässen im Herzmuskel unterzogen, etwa einer Computertomographie oder einem Belastungstest. Diese Techniken lieferten aber offenbar nur selten einen diagnostischen Mehrwert.

Kleine Krankenhäuser wollen der Schließung entgehen

In Deutschland scheint die Situation nicht anders zu sein. Das legen zumindest die in mühevoller Kleinarbeit zusammengestellten Datensammlungen des Ministerialrats a. D. Ernst Bruckenberger aus Hannover nahe. Wie er in seinem jüngsten „Herzbericht“ darlegt, wurden im Jahr 2008 hierzulande rund 850.000 einschlägige Koronarangiographien ausgeführt. Nur vierzig Prozent davon hatten einen Eingriff zur Folge. Das heißt: Weniger als die Hälfte der Untersuchungen brachten so schwere Engpässe ans Licht, dass die Implantation einer Gefäßstütze oder auch eine Bypass-Operation gerechtfertigt schien.
Setzen die Kardiologen also ihre Patienten zu sorglos den - wenngleich geringen - Risiken eines Kathetereingriffs aus? Dass längst nicht alle Koronarangiographien notwendig sind, bestätigt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, Michael Böhm vom Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg. Schwarze Schafe gebe es unter anderem bei den kleineren Krankenhäusern. So richteten diese teilweise nur deshalb ein Katheterlabor ein, weil sie hofften, mehr Patienten behandeln zu können und damit einer Schließung zu entgehen. Böhm verwahrte sich aber gegen den Vorwurf, in der Kardiologie werde grundsätzlich zu viel mit dem Katheter hantiert. Wie er klarstellte, dient die Koronarangiographie nicht nur zum Nachweis, sondern oft auch zum Ausschluss einer koronaren Herzkrankheit. Eine solche Abklärung sei manchmal notwendig, wenn der Patient bereits ein anderes Herzleiden, etwa eine Herzmuskelerkrankung, aufweise. Im klinischen Alltag gebe es zudem oft unklare Situationen, in denen die Entscheidung für oder gegen eine Koronarangiographie nicht leichtfalle. In solchen Fällen griffen viele Kardiologen zum Katheter - aus Angst, etwas Wichtiges zu übersehen und hierfür später gerichtlich belangt zu werden.

Als „sanfter Blick ins Herz“ verharmlost

Die Debatten um die Notwendigkeit von Koronarangiographien lassen andere, noch besorgniserregendere Entwicklungen in den Hintergrund treten. Hierzu zählt die unkontrollierte Anwendung der modernen bildgebenden Verfahren, darunter die Computertomographie (CT). Martin Borggrefe vom Universitätsklinikum in Mannheim sprach in dem Zusammenhang von einem „Wildwuchs“. So sei die Zahl solcher Untersuchungen in den letzten Jahren stark angestiegen. Als „sanfter Blick ins Herz“ verharmlost, kommt das CT zwar ohne Eingriff aus. Dafür ist es deutlich kostspieliger als der Katheter und setzt die Betroffenen zudem größeren Mengen Röntgenstrahlen aus. Die Belastung mit ionisierender Energie ist vor allem dann sehr hoch, wenn die Geräte nicht optimal genutzt werden - was offenbar oft der Fall ist.
Anders als vielfach behauptet, kann die Computertomographie den Katheter zudem erst in wenigen Fällen ersetzen. Wie David Brenner vom Krebszentrum der Yale-Universität in New Haven/Connecticut schreibt, wird das CT auch in anderen Bereichen der Medizin viel zu großzügig angewendet. Am ehesten begegnen könne diesem Trend eine stärkere Orientierung der Ärzte an den Leitlinien. Man habe Hinweise, dass dadurch die Zahl solcher Untersuchungen um gut die Hälfte zurückgeht.

Quelle: www.faz.net, 22.03.2010, von Nicola von Lutterotti