Donnerstag, 26. November 2009

Serie: Zustand kritisch (1) Intensivstation? Nicht aufnahmebereit

Morgens halb zehn in Deutschland. Rolf Erkens, 55 Jahre alt, Geschäftsführer, fasst sich an die Brust. Kalter Schweiß, Panik und ein vernichtender Druckschmerz nehmen ihn gefangen. Herzinfarkt! Die Sekretärin wählt die 112, und knapp zehn Minuten später sind Notarzt und Rettungswagen am Einsatzort. Ziemlich fix, verglichen mit anderen Ländern. Vor Ort dann ist die Versorgung bestens. An Bord des Rettungswagens 50 verschiedene Medikamente, künstliche Beatmung, Defibrillator, temporärer Herzschrittmacher, alles vorhanden. Davon profitiert auch Rolf Erkens.
Doch dann dies: Der Rettungswagen kann nicht starten, weil es in allen umliegenden Krankenhäusern kein freies Intensivbett gibt. Die Leitstelle funkt: Alle "abgemeldet". Obwohl bereits fünf Kilometer weiter im nächstgelegenen Krankenhaus das Herzkatheter-Team in steriler Kluft zur Intervention bereitsteht, kann Erkens dort nicht aufgenommen werden - weil die Intensivstation voll ist. So wie im nächsten Krankenhaus auch. Und im übernächsten auch. Am anderen Ende der Stadt schließlich kann man ihn aufnehmen. Dort allerdings gibt es keinen Herzkatheter, nur die Möglichkeit einer medikamentösen Herzinfarktbehandlung, die deutlich schlechtere Alternative. Die Szene ist keine Ausnahme, sondern inzwischen tägliche Realität in der deutschen Notfallmedizin.
Die Nöte des Notarzts
Je eher ein verstopftes Herzkranzgefäß wieder eröffnet wird, desto weniger Herzmuskulatur geht zugrunde und desto besser ist die Überlebensprognose und -qualität des Patienten. Noch dringlicher beim Schlaganfall: Gilt beim Herzinfarkt ein Sechs-Stunden-Fenster vom Beginn der Beschwerden bis zur Wiedereröffnung eines Herzkranzgefäßes, bleibt beim Hirnschlag nur die Hälfte der Zeit, sollen nicht irreparable Schäden zurückbleiben. Kann ein Schlaganfall nicht binnen drei Stunden ab Beginn beispielsweise einer Halbseitenlähmung in einer speziellen "Stroke Unit" behandelt werden, verschlechtert sich die Prognose rapide.
Wenn der Notarzt nun aber mit einem solchen Patienten im Rettungswagen bis zu eineinhalb Stunden durch die Landschaft fahren muss, um ein Krankenhaus zu finden, das den Patienten aufnehmen kann oder will, dann nützt auch die schnellste Vor-Ort-Versorgung nichts. Ein plötzlicher Tod im Rettungswagen wird so nicht unwahrscheinlicher, ein Überleben als Pflegefall auch nicht. Doch jeden Morgen melden sich bei den Rettungsleitstellen etliche Intensivstationen als "nicht aufnahmebereit" ab.
Zwei Hauptgründe gibt es für diesen Zustand: Demographie und Ökonomie. Die meisten Intensivpatienten sind ältere Menschen mit Krankheitsbildern. Auf der kardiologischen Intensivstation des Herzzentrums der Uniklinik Köln sind bereits mehr als die Hälfte aller Patienten älter als 75. Je länger wir leben, desto mehr Krankheiten können wir bekommen - aber auch behandeln. Immer mehr alte Menschen werden sich künftig etwa einer Herz-Bypass-Operation unterziehen, einfach weil die Medizin dies heute auch für hochbetagte Menschen immer besser möglich macht. Wegen der altersbedingt zahlreichen Begleiterkrankungen dieser Patienten können sie aber nicht wie jüngere Patienten schon nach wenigen Tagen von der Intensiv- auf eine Normalstation verlegt werden. Oft müssen sie noch über einen deutlich längeren Zeitraum intensivmedizinisch weiterbetreut werden und liegen dort viele Tage, manchmal Wochen.
Die hohen Kosten werden von Kliniken zunehmend gemieden
Von den derzeit 23 000 Intensivbetten auf den 1400 Intensivstationen des Landes werden in Zukunft immer mehr wegfallen, weil Kliniken schließen oder umstrukturieren. Intensivbetten machen fünf Prozent der deutschen Krankenhausbetten aus, verursachen aber zwanzig Prozent aller Krankenhauskosten. Pro Tag durchschnittlich etwa 1400 Euro, im Mittel 12 500 Euro je Fall. Eine Aufstockung ist nur mit hohen Investitionen möglich. Diese fehlen bei den Kliniken aber schon jetzt, da die Länder ihrem gesetzlichen Investitionsauftrag nicht nachkommen.
Unter dem Druck des Wettbewerbs um knappe Mittel verlagern sich die Schwerpunkte der Kliniken immer mehr von der normalen Grund- und Regelversorgung mit allgemeiner Innerer Medizin und Allgemeinchirurgie in Richtung lukrativer Spezialdisziplinen mit geringem Intensivbedarf. Man setzt auf "elektive Medizin", das bedeutet auf Krankheitsbilder, deren einzelne Behandlung gut plan- und überschaubar ist wie etwa den Einbau künstlicher Gelenke, Ästhetische Chirurgie oder kleinere Eingriffe, die rein ambulant vorgenommen werden können.
Starben vor 30 Jahren noch mehr als siebzig Prozent aller Herzinfarktpatienten, liegt die Sterblichkeitsrate jetzt bei etwa fünfzig Prozent. Hatte ein 65-jähriger Mann 1970 noch eine durchschnittliche Lebenserwartung von sieben Jahren, ist diese heute bereits auf vierzehn Jahre angestiegen. Im Jahre 2008 waren etwa siebzehn Prozent der Deutschen 65 Jahre oder älter. Dieser Anteil wird bis 2060 auf gut dreißig Prozent steigen, und der Anteil der Menschen, die achtzig Jahre und älter sind, wird im gleichen Zeitraum von vier auf zwölf Prozent wachsen - und damit auch der Bedarf an Krankenhaus- und besonders Intensivbetten.
Demographie und Ökonomie driften auseinander
Offiziell hört man seit einiger Zeit aber immer wieder, wir hätten zu viele Krankenhausbetten. Gerne wird hierfür der Vergleich mit anderen europäischen Ländern wie Schweden, Norwegen oder Großbritannien herangezogen, wobei hier aber immer unterschlagen wird, dass in diesen Ländern staatliche Gesundheitssysteme mit Warte- und Rationierungslisten für eine Krankenhaus- und Intensivversorgung existieren. In Großbritannien etwa gibt es eine zwar inoffizielle, aber gut bekannte Altersdiskriminierung dergestalt, einem 80-Jährigen oftmals einfach keine Dialyse und oft auch kein Intensivbett mehr anzubieten.
Immer wieder müssen sich Ärzte und Krankenschwestern neu beraten, ob man einem alten, schwerkranken Menschen die künstliche Beatmung abstellen kann oder nicht. Ob ein Schwerkranker nicht doch auch auf eine Normalstation verlegt werden sollte, damit das Bett für einen jüngeren Fall mit besserer Überlebenschance freigemacht wird. Ob trotz totaler Überfüllung nicht doch noch ein Herzinfarkt von außerhalb aufgenommen werden kann. Doch sie haben kaum rechtliche Rückendeckung. Demographie und Ökonomie driften im rechtsunsicheren Raum auseinander. Dies kann fatale Folgen für Notfallpatienten haben. Es besteht akuter Diskussions- und Handlungsbedarf.
Der Autor ist Facharzt für Allgemeinmedizin in Kerpen und Schlafforscher.

Quelle:  www.faz.net, 17.10.09, von Michael Feld

Dienstag, 17. November 2009

Verschulte Studiengänge, verfehlte Ziele

Gut zehn Jahre nach Unterzeichnung der Bologna-Erklärung weisen nach der Wahrnehmung der betroffenen Studenten und Professoren die verantwortlichen Bildungspolitiker jede Verantwortung für die beanstandeten Fehlentwicklungen von sich. Tatsächlich hat jüngst Bundesbildungsministerin Schavan (CDU) die Länder aufgefordert, die nötigen Korrekturen an den neu konzipierten Bachelor- und Masterstudiengängen rasch vorzunehmen. Die zuständigen Wissenschaftsminister dagegen sehen die Schuld bei den Hochschulen. Die Hochschulrektorenkonferenz wiederum, welche die Umstellung mit am vehementesten begrüßt hat, schweigt oder beklagt die Unterfinanzierung der Hochschulen.
Grundidee des Bologna-Prozesses war die Herstellung eines europäischen Hochschul- und Wirtschaftsraums, der die Abschlüsse vergleichbar machen und die Mobilität der Studenten und Hochschullehrer erleichtern sollte. Von einer völligen Angleichung ist in der Bologna-Erklärung aus dem Jahre 1999 allerdings nicht die Rede, sondern von Vergleichbarkeit und Vereinbarkeit (“comparable and compatible“).
Die wesentlichen Prinzipien der Erklärung sind die Arbeitsmarktorientierung der vorher akademischen Lehre, der konsekutive Aufbau von berufsqualifizierenden Bachelor- und wissenschaftsorientierten Master-Studiengängen und die Förderung der Mobilität. Politisch erhoffte man sich durch eine Verschulung der Studiengänge geringere Abbrecherquoten und eine Verkürzung der Studienzeiten. Beides ist bisher nicht erreicht worden. Auch von der Möglichkeit eines Studienortswechsels wird weniger häufig Gebrauch gemacht, selbst ein Wechsel innerhalb desselben Bundeslands kann sich schwierig gestalten. Denn jeder Fachbereich hat eigene, spezifizierte Module ausgearbeitet, also kleine Studieneinheiten, für die eine bestimmte Anzahl sogenannter Credit-Points zu erreichen ist. Auch ein Wechsel ins angelsächsische Ausland ist trotz der formal ähnlichen Struktur der Studiengänge nicht leichter geworden: Der dortige Bachelor ist häufig auf vier Jahre angelegt, der deutsche meist auf drei. Bisher wurde das dreizehnte Schuljahr oft anerkannt, mit den zwölfjährigen Abschlüssen werden sich die Schwierigkeiten verschärfen.
Im Unterschied zur Studentenrevolte Ende der sechziger Jahre sind jetzt Studenten und Hochschullehrer vereint in ihrer Kritik am System. Es gibt kaum ein Fach, das sich zur Modularisierung gedrängt hätte, die meisten wurden durch die Finanzzuweisungen des zuständigen Wissenschaftsministeriums dazu gezwungen. Wer sich weigerte, musste mit einer Einstellung sämtlicher Zahlungen rechnen.
Was sich in den Studentenprotesten, die an diesem Dienstag einen ersten Höhepunkt finden sollen, spiegelt, ist jedoch nicht nur die Unzufriedenheit mit verschulten Studiengängen und einer Prüfungsinflation. Auch die Finanzierung des Hochschulsystems hat nicht Schritt gehalten mit der von allen Bildungspolitikern als Ziel verfolgten OECD-Quote von 40 Prozent Studienanfängern. Folge davon ist eine unzureichende Betreuungslage, die sich im konsekutiven Studienmodell noch negativer bemerkbar macht als im herkömmlichen.
Während das Betreuungsverhältnis an renommierten Hochschulen in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten bei 1:10 liegt (ein Professor für zehn Studierende), bewegt sich die durchschnittliche Betreuungsrelation in Deutschland bei 1:66. In manchen Fächern sieht es noch schlechter aus, in kleineren Fächern besser. Deutschland liegt bei den Ausgaben je Student nach Angaben der OECD gerade noch vor Mexiko und Nigeria. Bei den Absolventenausgaben indessen liegt es auf dem vierten Platz. Das wird als ein Hinweis auf die hohe Ineffizienz der derzeitigen Studienbedingungen gesehen.
Als der Wissenschaftsrat vor einem Jahr seine Empfehlungen zur universitären Lehre veröffentlichen wollte, musste er den Veröffentlichungstermin vier Mal verschieben, weil die Finanz- und Wissenschaftsminister den erhöhten Finanzierungsbedarf für die Hochschulen nicht schwarz auf weiß bescheinigt haben wollten. Es fehlen den Hochschulen keineswegs nur zwei bis drei Milliarden Euro, wie damals bekanntgegeben wurde. Tatsächlich liegt der Bedarf viel höher, vorausgesetzt, die Verantwortlichen wollen die Studentenquote nicht einschränken, was unwahrscheinlich ist.
Ein Ausweg aus der Krise wird nicht nur in einer höheren Grundfinanzierung gesehen, sondern auch in einer umfassenden Deregulierung, vor allem in den Landes-Hochschulgesetzen. Ein Bachelor etwa muss nicht nur sechs Semester dauern, er könnte in Zukunft auch bis zu acht Semester in Anspruch nehmen. Debattiert wird auch, ob sich bei der Korrektur der Module die gleichen Fachbereiche mehrerer Universitäten in Deutschland zusammentun sollen, damit zumindest die Mobilität im Land gesichert ist. Dass das möglich ist, zeigen schon abgeschlossene Vereinbarungen mit ausländischen Partneruniversitäten. Schließlich wird überlegt, die Evaluationen höchstens alle zehn Jahre vorzunehmen und die Akkreditierung von Studiengängen einzuschränken, um fast ausschließlich mit Evaluation, Begutachtung und Verwaltung beschäftigten Hochschullehrern wieder Zeit für die Forschung zu verschaffen.

Quelle: FAZ, 17.11.09

Gegen Kopfnoten und Studiengebühren

Köln/Düsseldorf. Mit Demonstrationen und Protestaktionen wollen Schüler und Studenten heute in zahlreichen NRW-Städten für Veränderungen im Bildungssystem werben. Nach Angaben einer Sprecherin des Organisationskomitees «Bundesweiter Bildungsstreik» sind unter anderem Proteste in Bochum, Bonn, Bielefeld, Dortmund, Düsseldorf, Essen, Köln und Wuppertal geplant. Demnach werden landesweit Tausende Teilnehmer erwartet. Die Schüler wenden sich etwa gegen Kopfnoten, die Studenten lehnen Studiengebühren ab. In der vergangenen Woche bereits hatten Studenten Hörsäle besetzt. 
Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) hat angesichts der Studentenproteste betont, dass Bildung auf der Agenda der neuen Bundesregierung Priorität hat.«Die Bundesregierung wird in den nächsten vier Jahren zwölf Milliarden Euro in die Bildung investieren, und die kommen zu einem hohen Prozentsatz auch den Hochschulen zugute», sagte sie am Dienstag im Deutschlandfunk. «Bildung steht ganz oben.»
Schavan äußerte teilweise Verständnis für das Anliegen der Studenten. «Den Punkt der Verbesserung der Lehre teile ich.» Bei der Umsetzung der Hochschulreform habe es handwerkliche Fehler gegeben. Die Ministerin unterstrich aber auch, dass trotz der Wirtschaftskrise in Deutschland noch nie so viel in Bildung investiert worden sei wie zur Zeit.
Berlins Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) unterstützte die Studenten. «Ich habe viel Verständnis für die Forderung gegen Studiengebühren und für einen Ausbau des BAFöG», sagte er im ZDF- «Morgenmagazin».
In mindestens 35 Städten planen Studenten heute Demonstrationen und Blockaden. Sie begründen ihren Protest mit überlasteten Studiengängen, sozialen Ungleichheiten im Bildungssystem, der chronischen Unterfinanzierung der Universitäten sowie Mängeln bei der Umstellung auf Bachelor- und Master-Abschlüsse.
An der RWTH Aachen hat sich die Lage entspannt. Das Aktionsbündnis Bildungsstreik Aachen, das seit Donnerstag einen Hörsaal besetzt hielt, hat diesen heute Morgen geräumt. Ein Demonstrationszug soll sich um 13 Uhr am Theaterplatz in Gang setzen. 

Quelle: Aachener Nachrichten Online, 17.11.09

Mittwoch, 11. November 2009

Streitfrage Impfen

Aachen. Wie hoch ist im Moment das Risiko, sich tatsächlich mit dem H1N1-Virus zu infizieren, der unter dem Namen «Schweinegrippe» vielen Menschen Angst macht? Sind die Nebenwirkungen der Impfung eine zusätzliche Gefährdung der Gesundheit? Warum gibt es eigentlich unterschiedliche Impfstoffe? 
Welche Personengruppen tragen ein besonders hohes Risiko, und müssen wir nicht auch die Impfung im Hinblick auf die «saisonale Influenza» - die übliche «Grippeimpfung» - bedenken? Darf man beide Impfungen gleichzeitig erhalten?

Brennende Fragen, auf die unsere Zeitung beim AZ-Forum Medizin «Spezial» in Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Aachen am Donnerstag Antworten sucht. Fünf Experten analysieren die gegenwärtige Situation und gehen auf die Sorgen und Nachfragen des Publikums ein.

Wird mit der Bedrohung durch die «Schweinegrippe» zu hysterisch umgegangen, oder sind diejenigen, die sagen «Impfung? Nein Danke!» tatsächlich leichtfertig und schlecht informiert? «Das Problem ist die Tatsache, dass Grippe-Viren relativ mutationsfreudig sind», so Sebastian Lemmen, der die Entwicklungsgeschichte der Viren beobachtet. So gab es in Mexiko und Südostasien schon 1918/19 als «Spanische Grippe» das H1N1-Virus, das gleichfalls 1976 in den USA entdeckt wurde.

«Mit einem Enzym, das eine vorher nicht analysierte Gensequenz hatte.» Seine Meinung: «Was heute noch nicht sehr krank macht, kann nach drei Mutationsstufen durchaus gefährlich sein.»

Verstärkt Übelkeit und Fieber

Viele Menschen haben in Deutschland inzwischen sogar die «Schweinegrippe» überstanden, ohne es richtig bemerkt zu haben. «Im Vergleich zur bekannten Grippe treten verstärkt Übelkeit, Durchfall, Husten und Fieber auf», weiß Stefan Krüger, der Betroffene bereits im Klinikum behandelt hat. «Wenn der Blutdruck absackt oder Patienten Herz-Kreislaufprobleme haben, muss man sie behandeln.» Vor «Selbstbehandlung» etwa durch einen kräftigen Schluck Alkohol warnt Krüger: «Alkohol dämpft die Immunabwehr.»

In seiner Praxis als Facharzt für Allgemeinmedizin in Monschau hört Hans-Dieter Hege täglich die besorgten Fragen der Patienten. «Es geht um eine Abwägung des Risikos, wir impfen schließlich Präparate, die eine Immunabwehr verstärken.» Gerade im Hinblick auf Kinder und Jugendliche gibt Norbert Wagner zu bedenken: «Wer noch nie Kontakt mit einem Virus hatte, neigt dazu, schwer zu erkranken.» Aus seiner Sicht sollten Menschen, die im Gesundheitsdienst tätig sind und Kinder ab sechs Monate mit einer chronischen Erkrankung vorrangig die Impfung erhalten. Nach den Sechs- bis 24-Jährigen folgt die Gruppe der 25- bis 59-Jährigen sowie die Menschen im Alter ab 60 Jahre.

Die Diskussion um Impfstoffverstärker scheint aus Sicht der Experten allerdings übertrieben. «Das gab es schon bei früheren Impfstoffen, das ist nichts Neues», sagt Wagner.

Und wer überprüft, ob aus einem vergleichsweise harmlosen Virus irgendwann eine große Gefährdung geworden ist? «Die Viren werden von Referenzenlaboratorien der Weltgesundheitsbehörde WHO regelmäßig untersucht, es sind neutrale Einrichtungen», erläutert Klaus Ritter. Bei Fragen, wie man sich im Alltag verhalten sollte, wiederholt er aus der Sicht des Mikrobiologen immer wieder den Rat: «Hände waschen, besonders in Schulen und Kindergärten!» Und wenn im vollbesetzten Bus der Nachbar prustet? «Für einen Moment die Luft anhalten und die Augen schließen, das vermindert bereits die Ansteckungsgefahr.»

Im Großen Hörsaal um 19.30 Uhr

«Streitfrage Impfen» im AZ-Forum Medizin «Spezial» am Donnerstag, 12. November, 19.30 Uhr, im Großen Hörsaal 4 (GH4) des Universitätsklinikums Aachen, Pauwelsstraße. Fragen des Publikums sind erwünscht. Der Eintritt ist frei. Einlass ab 18.30 Uhr.

Die fünf Experten: Aus dem Uniklinikum Professor Dr. Sebastian Lemmen (Leiter des Zentralbereichs für Krankenhaushygiene und Infektiologie), Professor Dr. Klaus Ritter (kommissarischer Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie), Privatdozent Dr. Stefan Krüger (Oberarzt der Medizinischen Klinik I und Leiter der Sektion Pneumologie, Lungenfunktion, Bronchologie), Professor Dr. Norbert Wagner (Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin) sowie aus Monschau der Allgemeinmediziner Dr. Hans-Dieter Hege.



Quelle: Aachener Nachrichten Online, 9.11.09

Plötzlich ging es keinen Zentimeter mehr weiter

Aachen. Zu früh gefreut: Das riesige Loch will sich einfach nicht füllen. Guten Mutes waren die Leute von der RWTH daran gegangen, ihre nach langem Hin und Her selbst entwickelten Spezialrohre 2500 Meter in Richtung Erdmittelpunkt zu treiben, doch abrupt hörte das große Geschiebe am Super C auf. 
Weil es in 1900 Metern Tiefe nicht mehr voranging, mussten mehrere hundert Meter Rohr wieder herausgekramt werden. Heute soll ein neuer Anlauf unternommen werden, die zweieinhalb Kilometer Kunststoff zu versenken - mit Gewichten unten dran. Denn ganz offensichtlich gilt in diesem Fall: Ziehen ist besser als schieben.

Dabei sah es Mitte Oktober noch sehr gut aus. Rohr auf Rohr, jedes zwölf Meter lang, wanderte in den Schacht, bisweilen schafften die Arbeiter 100 Meter pro Tag. Rektor Ernst Schmachtenberg, der an Entwicklung und Patentierung der Polypropylen-Rohre führend beteiligt war, ließ sich vor Ort erklären, dass es tüchtig vorangehe und das Erreichen der untersten Sohle nur noch eine Frage von Tagen sei. Und damit auch das ehrgeizige Geothermie-Projekt der TH endlich, endlich den krönenden Abschluss finde - heißes Wasser aus dem Untergrund soll das Super C heizen und lüften.

Mit sanften 200 bis 400 Kilo «Einbaudruck» wurden die Rohre, zuletzt per Hubzug, nach unten befördert, doch dann war plötzlich Schluss: Der per Digitalwaage gemessene Druck stieg auf anderthalb Tonnen, doch in der Gegend der 1900-Meter-Marke ging dann gar nichts mehr. Anheben, absenken, anheben, absenken - laut Projektleiter Dr. Jörg Krämer wurden um die 40 Versuche unternommen, das Unternehmen wieder flott zu bekommen. Vergeblich, immer an derselben Stelle hakte es gewaltig.

Das Ende vom Lied: Um die 600 Meter Rohr wurden wieder aus dem Loch gezerrt, zwei Tage dauerte die Arbeit. «Wir kämpfen gegen die Flexibilität des Materials an», sagt Krämer und spricht davon, dass die «Abstandshalter» zur Wand des Lochs weiter unten wohl verkleinert werden müssen. Vor allem aber will man vom alleinigen Drücken der Rohre zum gleichzeitigen Ziehen übergehen; zu diesem Zweck soll jetzt damit begonnen werden, auch mit Gewichten zu hantieren, die ziehen sollen. Gedacht ist an Packungen von 600 bis 700 Kilo.

Dass es so kurz vor dem Ziel doch wieder zu argen Problemen gekommen ist, hat die Verantwortlichen kalt erwischt. Mit der Belastbarkeit der Rohre ist man eigentlich zufrieden, «mit solchen Auswirkungen haben wir wirklich nicht gerechnet» (Krämer). Sollte auch die neue Methode nicht funktionieren, gibt es noch eine weitere Option: komplett alles ausbuddeln und nur noch mit Gewichten arbeiten. Was natürlich zusätzlich Geld und vor allem Zeit kosten würde.

Noch ist man aber optimistisch, ohne die ganz große Kehrtwende auszukommen. «Wenn ab heute alles superglatt läuft», so Krämer, «könnten wir in zehn Tagen unten sein». Allerdings weiß er mittlerweile, dass sämtliche bisherigen Terminvorstellungen «Makulatur» waren. Grundsätzlich aber herrsche Zuversicht, «es wird klappen».


Quelle: Aachener Nachrichten Online, 9.11.09