Dienstag, 17. November 2009

Verschulte Studiengänge, verfehlte Ziele

Gut zehn Jahre nach Unterzeichnung der Bologna-Erklärung weisen nach der Wahrnehmung der betroffenen Studenten und Professoren die verantwortlichen Bildungspolitiker jede Verantwortung für die beanstandeten Fehlentwicklungen von sich. Tatsächlich hat jüngst Bundesbildungsministerin Schavan (CDU) die Länder aufgefordert, die nötigen Korrekturen an den neu konzipierten Bachelor- und Masterstudiengängen rasch vorzunehmen. Die zuständigen Wissenschaftsminister dagegen sehen die Schuld bei den Hochschulen. Die Hochschulrektorenkonferenz wiederum, welche die Umstellung mit am vehementesten begrüßt hat, schweigt oder beklagt die Unterfinanzierung der Hochschulen.
Grundidee des Bologna-Prozesses war die Herstellung eines europäischen Hochschul- und Wirtschaftsraums, der die Abschlüsse vergleichbar machen und die Mobilität der Studenten und Hochschullehrer erleichtern sollte. Von einer völligen Angleichung ist in der Bologna-Erklärung aus dem Jahre 1999 allerdings nicht die Rede, sondern von Vergleichbarkeit und Vereinbarkeit (“comparable and compatible“).
Die wesentlichen Prinzipien der Erklärung sind die Arbeitsmarktorientierung der vorher akademischen Lehre, der konsekutive Aufbau von berufsqualifizierenden Bachelor- und wissenschaftsorientierten Master-Studiengängen und die Förderung der Mobilität. Politisch erhoffte man sich durch eine Verschulung der Studiengänge geringere Abbrecherquoten und eine Verkürzung der Studienzeiten. Beides ist bisher nicht erreicht worden. Auch von der Möglichkeit eines Studienortswechsels wird weniger häufig Gebrauch gemacht, selbst ein Wechsel innerhalb desselben Bundeslands kann sich schwierig gestalten. Denn jeder Fachbereich hat eigene, spezifizierte Module ausgearbeitet, also kleine Studieneinheiten, für die eine bestimmte Anzahl sogenannter Credit-Points zu erreichen ist. Auch ein Wechsel ins angelsächsische Ausland ist trotz der formal ähnlichen Struktur der Studiengänge nicht leichter geworden: Der dortige Bachelor ist häufig auf vier Jahre angelegt, der deutsche meist auf drei. Bisher wurde das dreizehnte Schuljahr oft anerkannt, mit den zwölfjährigen Abschlüssen werden sich die Schwierigkeiten verschärfen.
Im Unterschied zur Studentenrevolte Ende der sechziger Jahre sind jetzt Studenten und Hochschullehrer vereint in ihrer Kritik am System. Es gibt kaum ein Fach, das sich zur Modularisierung gedrängt hätte, die meisten wurden durch die Finanzzuweisungen des zuständigen Wissenschaftsministeriums dazu gezwungen. Wer sich weigerte, musste mit einer Einstellung sämtlicher Zahlungen rechnen.
Was sich in den Studentenprotesten, die an diesem Dienstag einen ersten Höhepunkt finden sollen, spiegelt, ist jedoch nicht nur die Unzufriedenheit mit verschulten Studiengängen und einer Prüfungsinflation. Auch die Finanzierung des Hochschulsystems hat nicht Schritt gehalten mit der von allen Bildungspolitikern als Ziel verfolgten OECD-Quote von 40 Prozent Studienanfängern. Folge davon ist eine unzureichende Betreuungslage, die sich im konsekutiven Studienmodell noch negativer bemerkbar macht als im herkömmlichen.
Während das Betreuungsverhältnis an renommierten Hochschulen in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten bei 1:10 liegt (ein Professor für zehn Studierende), bewegt sich die durchschnittliche Betreuungsrelation in Deutschland bei 1:66. In manchen Fächern sieht es noch schlechter aus, in kleineren Fächern besser. Deutschland liegt bei den Ausgaben je Student nach Angaben der OECD gerade noch vor Mexiko und Nigeria. Bei den Absolventenausgaben indessen liegt es auf dem vierten Platz. Das wird als ein Hinweis auf die hohe Ineffizienz der derzeitigen Studienbedingungen gesehen.
Als der Wissenschaftsrat vor einem Jahr seine Empfehlungen zur universitären Lehre veröffentlichen wollte, musste er den Veröffentlichungstermin vier Mal verschieben, weil die Finanz- und Wissenschaftsminister den erhöhten Finanzierungsbedarf für die Hochschulen nicht schwarz auf weiß bescheinigt haben wollten. Es fehlen den Hochschulen keineswegs nur zwei bis drei Milliarden Euro, wie damals bekanntgegeben wurde. Tatsächlich liegt der Bedarf viel höher, vorausgesetzt, die Verantwortlichen wollen die Studentenquote nicht einschränken, was unwahrscheinlich ist.
Ein Ausweg aus der Krise wird nicht nur in einer höheren Grundfinanzierung gesehen, sondern auch in einer umfassenden Deregulierung, vor allem in den Landes-Hochschulgesetzen. Ein Bachelor etwa muss nicht nur sechs Semester dauern, er könnte in Zukunft auch bis zu acht Semester in Anspruch nehmen. Debattiert wird auch, ob sich bei der Korrektur der Module die gleichen Fachbereiche mehrerer Universitäten in Deutschland zusammentun sollen, damit zumindest die Mobilität im Land gesichert ist. Dass das möglich ist, zeigen schon abgeschlossene Vereinbarungen mit ausländischen Partneruniversitäten. Schließlich wird überlegt, die Evaluationen höchstens alle zehn Jahre vorzunehmen und die Akkreditierung von Studiengängen einzuschränken, um fast ausschließlich mit Evaluation, Begutachtung und Verwaltung beschäftigten Hochschullehrern wieder Zeit für die Forschung zu verschaffen.

Quelle: FAZ, 17.11.09

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