Dienstag, 4. Mai 2010

Koronarangiographie - Herzmedizin geht fahrlässig in die Vollen


Die Kardiologen stehen seit geraumer Zeit im Verdacht, die Herzkranzarterien ihrer Patienten zu häufig mit dem Katheter zu durchleuchten. Denn wie aus etlichen Erhebungen hervorgeht, verläuft die Suche nach schweren, den Blutstrom behindernden Engpässen dabei oft ergebnislos. Zum gleichen Ergebnis kommt nun eine aktuelle Analyse aus den Vereinigten Staaten, für die Daten von knapp 400.000 mit Herzkatheter untersuchten Männern und Frauen zugrunde gelegt wurden. Berücksichtigt wurden nur Personen, bei denen kein Notfall vorlag und bei denen auch noch keine Verengung der Herzkranzarterien, eine koronare Herzkrankheit, festgestellt worden war.
Wie die Autoren um Manesh Patel vom klinischen Forschungsinstitut der Duke-Universität in Durham/North Carolina im „New England Journal of Medicine“ (Bd. 62, S. 886) berichten, förderte die Katheteruntersuchung - die Koronarangiographie - lediglich in einem guten Drittel der Fälle behandlungsbedürftige Engstellen zutage. Bei einer vergleichbar großen Gruppe fanden die Kardiologen keine und bei rund einem Fünftel der Patienten lediglich geringfügige Strömungshindernisse in den Herzkranzarterien. Auch hatten sich 84 Prozent der Patienten vor der Gefäßdurchleuchtung bereits einem anderen Verfahren zum Nachweis von Gefäßengpässen im Herzmuskel unterzogen, etwa einer Computertomographie oder einem Belastungstest. Diese Techniken lieferten aber offenbar nur selten einen diagnostischen Mehrwert.

Kleine Krankenhäuser wollen der Schließung entgehen

In Deutschland scheint die Situation nicht anders zu sein. Das legen zumindest die in mühevoller Kleinarbeit zusammengestellten Datensammlungen des Ministerialrats a. D. Ernst Bruckenberger aus Hannover nahe. Wie er in seinem jüngsten „Herzbericht“ darlegt, wurden im Jahr 2008 hierzulande rund 850.000 einschlägige Koronarangiographien ausgeführt. Nur vierzig Prozent davon hatten einen Eingriff zur Folge. Das heißt: Weniger als die Hälfte der Untersuchungen brachten so schwere Engpässe ans Licht, dass die Implantation einer Gefäßstütze oder auch eine Bypass-Operation gerechtfertigt schien.
Setzen die Kardiologen also ihre Patienten zu sorglos den - wenngleich geringen - Risiken eines Kathetereingriffs aus? Dass längst nicht alle Koronarangiographien notwendig sind, bestätigt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, Michael Böhm vom Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg. Schwarze Schafe gebe es unter anderem bei den kleineren Krankenhäusern. So richteten diese teilweise nur deshalb ein Katheterlabor ein, weil sie hofften, mehr Patienten behandeln zu können und damit einer Schließung zu entgehen. Böhm verwahrte sich aber gegen den Vorwurf, in der Kardiologie werde grundsätzlich zu viel mit dem Katheter hantiert. Wie er klarstellte, dient die Koronarangiographie nicht nur zum Nachweis, sondern oft auch zum Ausschluss einer koronaren Herzkrankheit. Eine solche Abklärung sei manchmal notwendig, wenn der Patient bereits ein anderes Herzleiden, etwa eine Herzmuskelerkrankung, aufweise. Im klinischen Alltag gebe es zudem oft unklare Situationen, in denen die Entscheidung für oder gegen eine Koronarangiographie nicht leichtfalle. In solchen Fällen griffen viele Kardiologen zum Katheter - aus Angst, etwas Wichtiges zu übersehen und hierfür später gerichtlich belangt zu werden.

Als „sanfter Blick ins Herz“ verharmlost

Die Debatten um die Notwendigkeit von Koronarangiographien lassen andere, noch besorgniserregendere Entwicklungen in den Hintergrund treten. Hierzu zählt die unkontrollierte Anwendung der modernen bildgebenden Verfahren, darunter die Computertomographie (CT). Martin Borggrefe vom Universitätsklinikum in Mannheim sprach in dem Zusammenhang von einem „Wildwuchs“. So sei die Zahl solcher Untersuchungen in den letzten Jahren stark angestiegen. Als „sanfter Blick ins Herz“ verharmlost, kommt das CT zwar ohne Eingriff aus. Dafür ist es deutlich kostspieliger als der Katheter und setzt die Betroffenen zudem größeren Mengen Röntgenstrahlen aus. Die Belastung mit ionisierender Energie ist vor allem dann sehr hoch, wenn die Geräte nicht optimal genutzt werden - was offenbar oft der Fall ist.
Anders als vielfach behauptet, kann die Computertomographie den Katheter zudem erst in wenigen Fällen ersetzen. Wie David Brenner vom Krebszentrum der Yale-Universität in New Haven/Connecticut schreibt, wird das CT auch in anderen Bereichen der Medizin viel zu großzügig angewendet. Am ehesten begegnen könne diesem Trend eine stärkere Orientierung der Ärzte an den Leitlinien. Man habe Hinweise, dass dadurch die Zahl solcher Untersuchungen um gut die Hälfte zurückgeht.

Quelle: www.faz.net, 22.03.2010, von Nicola von Lutterotti

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