Dienstag, 27. Oktober 2009

Ärzte verzweifelt gesucht

Selten waren die Beschäftigungschancen für Mediziner so gut wie heute. Kliniken ködern die Kandidaten mit Betriebsrenten und flexiblen Arbeitsbedingungen.

Mitten in der größten Wirtschaftskrise der Nachkriegsgeschichte geht die Arbeitslosigkeit um 10 Prozent zurück. Wo gibt es das? Im Gesundheitswesen, unter den Medizinern. Im August vergangenen Jahres hatte die Bundesagentur für Arbeit 2965 Ärzte als arbeitslos registriert. Ein Jahr später waren es nur noch 2687. Rechnet man die gegen die 4000 Stellen auf, die die deutschen Krankenhäuser nicht besetzen können, gibt es für Ärzte im deutschen Gesundheitswesen mehr als Vollbeschäftigung. Bei den Meldungen dürfte es sich auch selten um Langzeitarbeitslose handeln, sondern eher um fluktuationsbedingte Wechsel. Das betrifft vor allem angestellte Ärzte in Krankenhäusern oder im öffentlichen Gesundheitsdienst; Niedergelassene können als Angehörige eines freien Berufs per Definition nicht arbeitslos werden.
So gut waren die Beschäftigungschancen für Ärzte lange nicht. Im "Deutschen Ärzteblatt" füllen die Stellenanzeigen regelmäßig 100 oder mehr Seiten. Es gibt Kliniken, die in einzelnen Abteilungen nur die Hälfte ihrer Mediziner-Planstellen besetzen können. Andere stellen die Behandlung von Patienten nur deshalb nicht ein, weil ausländische Fachkräfte in wachsender Zahl mit Hand anlegen. 21 784 von 320 000 registrierten Ärzten kamen im Jahr 2008 nicht aus Deutschland - die Tendenz ist steigend. 
Noch nie habe sich ein Angebotsmarkt mit Zigtausenden arbeitslosen Ärzten, wie man ihn noch vor zehn Jahren beklagt habe, in ähnlich rasanter Geschwindigkeit zu einem Nachfragemarkt mit Tausenden offenen Stellen entwickelt, staunt der Vizechef der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery. "Der Wechsel von Unterbeschäftigung über Vollbeschäftigung zu Überbeschäftigung mit Traumarbeitslosenzahlen ist ein Faktum."
Bald kommt es aus Sicht der Mediziner vielleicht noch besser. Denn von den knapp 150 000 niedergelassenen Ärzten werden sich in den nächsten Jahren Tausende altersbedingt zur Ruhe setzen. Schon entstehen in der haus- und fachärztlichen Versorgung auf dem Land erste Lücken, schon nutzen Ärzte die Aufhebung der Altersgrenze, um allein oder in Netzwerken noch ein paar Jahre draufzusatteln, damit die Versorgung nicht zusammenbricht. Hier und da stellen Kommunen und Kassenärztliche Vereinigungen schon die Praxis, damit junge Ärzte überhaupt noch aufs platte Land kommen. "Immer mehr ausgebildete Ärzte entscheiden sich gegen einen kurative Tätigkeit und wandern in alternative Berufsfelder oder ins Ausland ab", klagt Ärztekammerpräsident Jörg-Dietrich Hoppe. Jeder Fünfte gehe nach dem Abschluss des Studiums nicht ins Krankenhaus, das sei erschreckend viel.
Doch es ist ein Ärztemangel im Überfluss. 2008 hatte die Bundesärztekammer 319 697 berufstätige Ärzte registriert, im Jahre 1991 waren es erst 244 238. Seither hat sich viel verändert. Nicht nur, dass Ärzte bereit sind, für mehr Geld und kürzere Arbeitszeiten zu streiken. Die Arbeitszeiten sind, vor allem im Krankenhaus, drastisch gesunken. Immer mehr Frauen gehen in die Medizin, wollen aber im Vergleich zu den Männern weniger Stunden in der Woche arbeiten. Hinzu kommt der medizinisch-technische Fortschritt; neue Facharztrichtungen unter den Niedergelassenen beiten neue Beschäftigungschancen. Auch außerhalb von Klinik und Praxis bieten sich Ärzten interessante Perspektiven: in der Pharmaindustrie, bei Krankenversicherungen, in den Medien oder auch als Klinik-Controller mit betriebswirtschaftlicher Zusatzausbildung.
Die Standesorganisationen reagieren darauf. Unlängst haben Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Deutsche Apotheker- und Ärztebank mit der Düsseldorf Business School an der Heinrich-Heine-Universität einen neuen Studiengang zum Master of Business-Administration-Gesundheitsmanagement aus der Taufe gehoben. Ab Dezember können Ärzte, Zahnärzte, Apotheker und Hochschulabsolventen, die im Gesundheitswesen arbeiten, in vier Semestern den MBA machen. Andere Universitäten bieten ähnliche Abschlüsse an.
Auch die Kliniken stellen sich auf den Anbietermarkt ein. Die gezahlten Gehälter hält der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Georg Baum, für "konkurrenzfähig, sowohl im nationalen als auch im internationalen Vergleich". So komme ein Assistenzarzt im dritten Jahr auf 56 500 Euro samt Bereitschaftsdienstzulagen, ein Facharzt auf 81 000 Euro samt Poolbeteiligung aus privatärztlichen Einnahmen und ein Oberarzt auf 101 000 Euro. Chefärzte könnten laut einer Vergütungsstudie der Unternehmensberatung Kienbaum mit 250 000 Euro rechnen. Die Arbeitsbedingungen hätten sich verbessert, flexible Arbeitsmodelle ermöglichten es, Familie und Beruf besser unter einen Hut zu bringen. Die Arbeitsplätze seien sicher, zuweilen gebe es sogar eine Betriebsrente, und nicht zuletzt böten gerade die Kliniken Weiterbildung und Qualifikationsmöglichkeiten an. 
Engpässe sieht Baum vor allem in den neuen Bundesländern und in ländlichen Regionen sowie in einigen Fachgebieten wie der Anästhesie. Der Berufsverband der Chirurgen hat schon eine eigene Werbeaktion gestartet, um mehr Nachwuchs für den zuweilen auch körperlich anstrengenden "Knochenjob" zu finden. 
Für neue Beschäftigungsmöglichkeiten hat auch die Gesundheitspolitik in den vergangenen Jahren gesorgt. So können niedergelassene Ärzte auch am Krankenhaus arbieten oder in einer zweiten Praxis tätig werden, niedergelassene Ärzte können Assistenzärzte beschäftigen. Neue Beschäftigungsmöglichkeiten für angestellte Ärzte eröffnen sich auch in der wachsenden Zahl medizinischer Versorgungszentren, die von Ärzten, aber auch von Krankenhäusern betrieben werden.

Quelle: FAZ, 17./18.10.09


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