Dienstag, 1. Dezember 2009

Serie: Zustand kritisch (2) Vom Untergang der Unikliniken

In den zum Mediengetöse stilisierten Konflikten um Bologna-Prozess oder Exzellenzinitiative und der nicht selten klammheimlichen Freude über die finanziellen Schwierigkeiten der so hoch gelobten, allerdings privat und über hohe Studiengebühren finanzierten amerikanischen Eliteuniversitäten wird heute konsequent der Abstieg der Universitätsmedizin übersehen - vielleicht der deutschen Medizin schlechthin.
Schleichendes Multiorganversagen lautet die Diagnose. Ihre Symptome sind ärztliche Berufs- und Leistungsflucht, Überadministration und Evalualitis mit untauglichen, oft landespolitisch gefärbten Kriterien, vielerorts gescheiterte Trennung von Klinik und Hochschulpflichten, die unternehmerische Radikalisierung des Klinikmanagements sowie die Unterfinanzierung insbesondere der ärztlichen Weiterbildung. Wer es noch nicht bemerkt hat: Medizinkosten, auch an Universitätsklinika, sind politisch höchst unerwünschte Lohnnebenkosten und die stille Rationierung der Medizin im Kuhhandel von Parteipolitik und Krankenkassen wohl besiegelte Sache.
Am Anfang stand die politisch durchgesetzte Umstellung der Abrechnungen an den Krankenhäusern von Tagespflegesätzen auf sogenannte „Diagnosis-Related Groups“ (DRGs). Vereinfacht kann ein Krankenhaus der Krankenkasse nur eine Durchschnittsgebühr für eine bestimmte Diagnose- und Interventionskonstellation in Rechnung stellen. Dieses aus anderen Ländern zur Kostendämpfung importierte, durch Heerscharen von Bürokraten eingedeutschte System stellt primär nicht auf das ärztlich wie pflegerisch als notwendig Definierte ab, sondern auf die für gewisse Fälle näherungsweise berechneten Durchschnittskosten.
Medizinisch richtig, finanziell nicht tragbar
Dies geschieht anhand einer Stichprobe von Krankenhäusern, den „Kalkulationskrankenhäusern“, an denen Universitätsklinika naturgemäß nur eine Minorität stellen. Das DRG-Konstrukt unterstellt zudem, dass jeder Patient auch wirklich das Notwendige erhält. Wie Eingeweihte wissen, eine politisch gepflegte Fata Morgana. Die „blutige Entlassung“ ist schon sprichwörtlich. Andererseits: Kaum jemand will offen definieren, was das Notwendige denn ist, insbesondere im Alter. Klar ist: Krankenhäuser senken ihre Kosten massiv, und zwar durch Erhöhung der Leistungsdichte, Einschränkung der Personalstärke sowie durch medizinische Unterbehandlung und Qualitätsreduktion. Endlose Dokumentationsbürokratie verleidet den Ärzten genuine Tätigkeiten, die Arbeitsbelastung ist teils unerträglich, das Niveau ärztlicher Weiterbildung und Motivation im steilen Sinkflug.
Besonders schlecht können Universitätsklinika im DRG-System mithalten. Sie bekommen zumeist einen wesentlich höheren Anteil medizinisch komplex erkrankter Patienten zugewiesen, pflegten bislang - unbeschadet der Vergütung seitens der Kassen - die Linie „jede Verdachtsdiagnose wird lege artis diagnostisch abgearbeitet und jede Erkrankung wird therapiert“ - was sich viele nichtuniversitäre Kliniken längst nicht mehr gestatten. Sie bekommen zudem Patienten, die andere Krankenhäuser abschieben, und sind mit in der Regel mehr als tausend Betten und logistisch, investiv und personell aufwendiger zu bewirtschaften. Am Morgen erst Herzschrittmacher oder Gefäßprothese, am Nachmittag dann die Augenoperation, wegen der der Patient eigentlich eingewiesen wurde. Medizinisch richtig ist es, aber finanziell kann so etwas im DRG-System nicht gutgehen. Das angeblich lernende DRG-System hat eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt.
Exzellenz sieht anders aus
Universitätsklinika tragen zudem ein Gros der - ansonsten nicht finanzierten - ärztlichen Weiterbildung: 50 bis 70 Prozent ihrer Ärzte sind noch nicht Facharzt. Und niemand zahlt auch für die ärztliche Ausbildung in der Spitze, etwa zum Herz-, Lungen- oder Lebertransplanteur, und für die der Ärzte angrenzenden Fächer. Universitätsklinika sind also wie Sportler, die um den Gesundheitskuchen an DRGs mit einem Klotz am Bein um die Wette laufen müssen. Sie haben zudem nominell ihre Hauptaufgabe in Forschung und studentischer Lehre und erhalten dafür von den jeweiligen Bundesländern einen Zuführungsbetrag, der entsprechende Kosten decken soll. „Erlöse“ - nicht Gewinne - aus Krankenversorgung und Zuführungsbetrag bilden dann zusammen das Budget eines Universitätsklinikums. Da die Krankenversorgung, insbesondere die ambulante, wie die Weiterbildung unterfinanziert sind, wird sie in der Regel aus Forschungsmitteln mit finanziert. Umgekehrt: Studiengebühren in vernünftiger Höhe sind politisch out. Für alle Beteiligten also ein unwürdiges Nullsummenspiel.
An dieser Stelle setzen nun übliche, aber keineswegs zielführende Reflexe von Politik und Klinikvorständen ein. Es wird beständig evaluiert, oft nach fragwürdigen Kriterien. Unbeschadet der generellen Frage, ob Forschung quantitativ überhaupt sinnvoll messbar ist, werden Impact-Faktoren oder Zitationen wissenschaftlicher Publikation summiert, vor allem aber Euros eingeworbener Drittmittel. Beim pauschalen Aufsummieren zählt nicht, ob ein Universitätsklinikum groß oder klein ist und dementsprechend viel oder wenig Professoren und Personal hat. Im Zweifel wird, wenn Sondermittel verteilt werden, eher geschaut, welche Stadt die meisten Arbeitslosen hat - siehe Nokia und Opel. Exzellenz sieht anders aus. Würde zudem die Trennung der vom Land finanzierten Forschung und Lehre einerseits und der Krankenversorgung andererseits tatsächlich umgesetzt, müsste man die universitäre Krankenversorgung rationieren oder auf dem Niveau eines Vorstadtkrankenhauses betreiben. Insoweit hat man sich vielerorts augenzwinkernd darauf verständigt, Forschung, Lehre und Krankenversorgung als unauflösbare „Kuppelproduktion“ anzusehen.
Akademisch orientierte Ärzte flüchten
Aber auch die nunmehr hauptberuflich tätigen, oft mit nahezu diktatorischen Vollmachten ausgestatteten ärztlichen Direktoren zeigen Reflexe. Deren Credo heißt nun unisono: „Wir sind ein Unternehmen, und müssen uns auch so aufstellen.“ Also entwickelt man allerorts Logos, Leitbilder, eine Unternehmenskultur und beschwört „Klinik-Governance“. Man betreibt, oft mit wenig Rücksicht auf medizinisch sinnvolle Fächerstrukturen, nicht weniger als die Industrialisierung der Universitätsmedizin. Dumm nur, dass Patienten und Ärzten weder Stückgut noch Rädchen sein wollen und ein Universitätsklinikum schon dem Gesetz nach kein profitorientiertes Unternehmen ist. Des Managers Erfolg führt so zur personellen Schwindsucht der Medizin.
Mit modischem Managervokabular und -gebaren allein klappt es finanziell aber auch noch nicht. Und so werden bundesweit die Einkünfte neuer Chefärzte aus Privatliquidation minimiert und zugunsten der Krankenhausträger umgelenkt. Wurde seit Virchows Zeiten akademisch besonders qualifizierten Ärzten Behandlung von Privatpatienten und persönliche Liquidation erlaubt, damit die Tätigkeit an einer Universitätsklinik attraktiv war, so wird dies nun zur Dienstaufgabe. Arzt und Hochschullehrer mutieren vom Freiberufler zum angestelltem Wertschöpfer, zu Erfüllungsgehilfen der zunehmend um Geld verlegenen Klinikverwaltungen.
Angesichts dieses zunehmenden Verlustes an Attraktivität wundert es nicht, wenn auch nicht akademisch orientierte Ärzte zuhauf ins Ausland gehen. Schon werden Hürden in Habilitationsordnungen gesenkt, damit sich noch einige zum Forschen finden mögen. Und nicht nur im Osten Deutschlands können Universitätskliniken ihren ärztlichen Stellenplan mangels Bewerbern oft nicht mehr füllen, jedenfalls nicht mehr mit den Besseren.
Und damit schließt sich der Kreis. Industrialisierung der Medizin zum Billig-Einheitstarif sowie Aufgaben der Forschung, Lehre und Krankenversorgung sind ein unauflösbarer Widerspruch. Ihn mit Radikalität und Härte auflösen zu wollen ist eine Illusion. Die Universitätskliniken brauchen wie auch in anderen Ländern eine zusätzliche Finanzierung der von ihnen betriebenen Weiterbildung um etwa ein Drittel der ärztlichen Personalkosten. Sonst wird bald der Letzte das Licht ausmachen.

Jürgen Peters ist Facharzt und Hochschullehrer an der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin der Universität Duisburg-Essen

Quelle: www.faz.net, 09.11.09, von Jürgen Peters

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