Dienstag, 26. Januar 2010

Studienabbrecher: Warum es Studenten aus der Kurve trägt

Etwa jeder fünfte Student lässt den Abschluss sausen. Die Gründe dafür haben sich im letzten Jahrzehnt deutlich verändert, wie eine neue Studie zeigt: In Bachelor-Studiengängen bringt Prüfungs- und Leistungsdruck viele Studenten ins Wanken, Geldsorgen geben ihnen dann oft den Rest.
Es ist ein anhaltendes Jammern und Wehklagen unter Verbänden, Studenten, Dozenten und Parteien fast jeder Couleur: Das Bachelor-Studium ist grausam, schlecht ausgedacht, mies umgesetzt und der Druck enorm. Den protestierenden Studenten war es im Herbst und Winter gelungen, mit massiven Unmutsäußerungen und Hörsaalbesetzungen dem Thema überraschend viel Aufmerksamkeit zu verschaffen.
Nach dem lauten Winter räuspern sich in Hannover die nüchternen Statistiker des Hochschul-Informations-Systems (HIS), die unaufgeregt Zahlen zu den Problemen beim Bachelor-Studium gesammelt haben. Ihr Ergebnis stützt die Kritiker, die Bachelor- und Masterstudiengänge für einen Problemhaufen halten. Nach den HIS-Erkenntnissen stoßen Studenten in den neuen Studiengängen vermehrt an ihre Leistungsgrenzen, scheitern öfter in Prüfungen und brechen früher ab als zuvor üblich. Und auch Geldmangel spielt eine große Rolle.
Befragt haben Hochschulforscher Ulrich Heublein und seine Mitarbeiter insgesamt 2500 Studienabbrecher im Studienjahr 2008, an 54 Universitäten und gut 33 Fachhochschulen. Ein Drittel der Aussteiger studierte bereits auf Bachelor, der Rest auf Diplom oder Magister.



Der Druck auf die Studenten wächst
Nun könnte man sagen: Ist doch alles halb so schlimm, denn etliche Beispiele prominenter Uni-Deserteure von Bill Gates und Steve Jobs über Wim Wenders bis zu Günther Jauch zeigen ja, dass es vom Abbruch bis zum Durchbruch oft nicht weit ist und es durchaus ein Leben gibt ohne Uni und nach einem Studienversuch. Stimmt schon, aber für jeden einzelnen Studienabbrecher bedeutet die Entscheidung einen tiefen Einschnitt. Und auch für jede Hochschule ist die Erfolgsquote ihrer Studenten ein Indiz, was dort das Studium taugt.



Die Forscher wollten wissen: Was waren die Gründe, das Studium aufzugeben? Die Ergebnisse verglichen sie mit den Antworten aus dem Jahr 2000 - also einer Zeit, in der vom Bachelor- und Masterstudium nur in Amtsstuben gesprochen wurden, die Studenten aber noch weitgehend unbehelligt von Stress und Studiengebühren im alten System studieren konnten.
Studienabbruch ist für Hochschulforscher ein ziemlich verzwicktes Thema, weil sich "echte" Abbrecher statistisch nicht simpel trennen lassen etwa von Studiengang- oder Studienort-Wechslern. Die Abbrecherquote fällt darum deutlich niedriger aus als die "Schwundquote", gemessen an jenen Studienanfängern, die aus den verschiedensten Gründen ihr zunächst angestrebtes Studienziel nicht erreichen. Zudem weisen die HIS-Experten stets darauf hin, dass eine Abbruch-Entscheidung nicht allein durch ein einziges Motiv bestimmt wird; in der Regel spielen mehrere Gründe zusammen.

Überforderung lässt die meisten Abbrecher hinwerfen
Dennoch sind die Veränderungen bei den wichtigsten Motiven auffällig. So hat sich die Quote der Überforderten unter den Abbrechern an deutschen Hochschulen zwischen dem Jahr 2000 und 2008 deutlich erhöht. Als Hauptgrund für einen Studienabbruch geben inzwischen 31 Prozent der Abbrecher Leistungsprobleme oder Prüfungsversagen an. Vor der Einführung der neuen Abschlüsse lag diese Quote nur bei 20 Prozent.
Stärkster Wandel: Im Jahr 2000 lautete der wichtigste Grund für einen Studienabbruch noch "berufliche Neuorientierung" (19 Prozent der Abbrecher), war also eher eine Frage der Neigung. 2008 lag diese Motivation abgeschlagen auf Rang sechs mit nur mehr zehn Prozent. Sowohl "mangelnde Studienmotivation" (18 Prozent) als auch Unzufriedenheit mit den Studienbedingungen (12 Prozent) wurden 2008 häufiger als Abbruch-Gründe genannt als acht Jahre zuvor.
Knapp ein Fünftel der Abbrecher im Jahr 2008 gab außerdem an, sich aus finanziellen Gründen vom Ziel Hochschulabschluss verabschieden zu müssen. Die Geldsorgen sind nach Leistungsproblemen der zweitwichtigste Hinderungsgrund, haben sich aber, anders als die Leistungssorgen, nur geringfügig verschärft.

Im Bachelorstudium fällt die Entscheidung schneller
Für Bachelor-Abbrecher sind Geldsorgen hingegen seltener ein Grund hinzuwerfen, einfach weil sie viel früher scheitern: Geben die Studenten der alten Studiengänge im Durchschnitt nach gut sieben Semestern auf, werfen Bachelor-Abbrecher schon nach etwas mehr als einem Jahr die Flinte ins Korn - was auch an Unterschieden zwischen den Fächern liegen könnte: Die Rechtswissenschaften etwa verzeichnen traditionell sehr hohe Durchfallquoten, Jura-Studenten scheitern oft erst ganz am Ende des Studium an den Examensprüfungen. Auf Bachelor aber studiert bisher kaum ein Jurist.
Die Differenzen zwischen den akademischen Disziplinen sind groß. Wie schon frühere Untersuchungen ergaben, hat der Bachelor den Geistes- und Sozialwissenschaften in punkto Abbrecherzahlen eher gut getan: Weit weniger Studenten scheitern an diesen Fächern, die sich früher durch große Freiheiten im Studium auszeichneten und heute vielfach als verschult kritisiert werden. "Für die Abbrecherquoten in Sprach-, Geistes- und Kulturwissenschaften war die Studienreform segensreich", sagte Studienautor Ulrich Heublein SPIEGEL ONLINE.
Besonders hart ist das Bachelor-Studium dagegen offenbar für Studenten der Natur- und Ingenieurwissenschaften. Am ärgsten trifft es die Studenten der Fächer Elektrotechnik, Maschinenbau, Mathematik, Physik und Chemie. Die Abbrecherquoten seien hier in den Bachelor-Studiengängen "anhaltend hoch" und viel höher als bei den Diplom-Studenten, so Heublein. Den Hochschulen sei es bisher kaum gelungen, daran etwas zu verbessern - ein Indiz für zu vollgestopfte Studiengänge.

"Beleg, wie verkorkst die Bachelorstudiengänge sind"
Eine neue Gesamtquote der Abbrecher weisen die Wissenschaftler um Heublein für 2008 nicht aus. Sie wird nach wie vor mit 21 Prozent aus dem Jahr 2006 angegeben, damit schneidet Deutschland im Ländervergleich der OECD nicht schlecht ab. Der Wert könnte mit der Bachelor-Umstellung gestiegen sein - was eine Niederlage für die Bologna-Befürworter wäre, denn die Senkung der Abbrecherzahlen gehörte zu den Reformzielen.
Der Präsident des Deutschen Studentenwerks, Rolf Dobischat, bekräftigte angesichts der hohen Abbrecherquote wegen finanzieller Probleme seine Forderung nach einer regelmäßigen Bafög-Erhöhung. "Die Studienfinanzierung ist neben der Überforderung noch immer einer der Knackpunkte, an dem Studierende scheitern. Umso wichtiger ist es, mit einer verlässlichen und ausreichenden staatlichen Studienfinanzierung gegenzusteuern", sagte er.
Dass nur zwölf Prozent der Studienabbrecher durch schlechte Studienbedingungen aus dem Studium gedrängt werden, sei "insgesamt ein gutes Zeugnis" für das deutsche Hochschulsystem, sagte der parlamentarische Bildungsstaatssekretär Helge Braun (CDU). Wichtig sei, dass die Studenten besser auf ihr Studium vorbereitet würden und nicht mit falschen Erwartungen an die Hochschulen kämen.
Nicole Gohlke, hochschulpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, nahm die HIS-Untersuchung zum Anlass, die neuen Studienabschlüsse erneut zu kritisieren: "Die Ergebnisse belegen, wie verkorkst die neuen Bachelorstudiengänge sind." Die Zahl an Abbrüchen aufgrund der gestiegenen Anforderungen und Belastungen sei hier deutlich höher als in den herkömmlichen Studiengängen. Mit den gestiegenen Belastungen gehe einher, dass die Studierenden weniger Möglichkeiten hätten, während des Studiums zu arbeiten, um sich finanzieren zu können.

Quelle: http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,671595,00.html, 12.01.2010,
von Christoph Titz

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