Donnerstag, 28. Januar 2010

Zustand kritisch (5): Alternative Heilverfahren versus Schulmedizin

Die Onkologie befindet sich in einer paradoxen Situation. Auf der einen Seite steigen die Behandlungschancen, weil die Ursachen von Krebs zunehmend besser verstanden werden und weil immer bessere Therapien entwickelt werden. Trotzdem gibt es eine erhebliche Zahl an Krebspatienten, die ausschließlich der Komplementär- oder Alternativmedizin vertrauen. Diese Kranken wenden sich erst an die konventionelle Medizin, wenn die Chancen auf Heilung verspielt sind, ohne je in einer onkologischen Sprechstunde oder Klinik vorstellig geworden zu sein. Die meisten Patienten verwenden komplementäre Therapien allerdings begleitend zu einer direkt gegen den Tumor gerichteten Chemo- oder Strahlentherapie, vor allem, um Nebenwirkungen abzuschwächen.
Worin gründet das hohe Vertrauen, das Komplementär- und Alternativmedizin in der Onkologie genießen? Immerhin nutzen dreißig bis achtzig Prozent aller Patienten mit einer Tumorerkrankung irgendwann im Laufe ihrer Erkrankung solche Verfahren, obwohl allen eines gemeinsam ist, was sie auch von der sogenannten Schulmedizin abgrenzt: Ihre Wirksamkeit ist nach wissenschaftlichen Kriterien nicht bewiesen.  
Was wir wissen
Krebskranke Patienten befinden sich in einer emotional extrem schwierigen Situation. „Warum ich?“ – ist die erste Frage, die sich viele stellen. Sie wächst aus dem Bedürfnis, das Unfassbare in einen Kontext zu stellen, Zusammenhänge zu verstehen und wieder die Kontrolle über das Leben zurückzugewinnen. Wir wissen heute, dass Krebs durch eine Abfolge von einzelnen genetischen Veränderungen entsteht und dass Statistiken und Wahrscheinlichkeiten eine Rolle spielen, die wiederum von bekannten und unbekannten Risikofaktoren beeinflusst werden, die zum Teil auch rein zufällig sind.
Das erklärt, warum Rauchen beispielsweise das Risiko für Lungenkrebs erhöht, aber nicht jeder Raucher erkrankt. Zufall als Ursache ist aber für den Patienten kaum akzeptabel. Deshalb erfreuen sich Konzepte wie das der Krebspersönlichkeit oder das eines immunologischen Versagens einer hohen Beliebtheit. Sie sind in der Regel mit entsprechenden Handlungsanweisungen verknüpft, die Heilungserfolge versprechen.
Das öffentliche Bild
Warum ist es so schwer, die Erfolge der wissenschaftlich begründeten Medizin zu vermitteln? Wirft man einen Blick auf die Bücherregale einer beliebigen großen Buchhandlung in einer deutschen Innenstadt, so findet man mehr Titel aus dem alternativen und esoterischen Bereich als solche, die sich um seriöse medizinische Aufklärung der Patienten bemühen. Im Wettbewerb um Buchranglisten und um Verkaufszahlen tut sich die wissenschaftliche Medizin schwer.
Es gelingt ihr offen-sichtlich nicht, zu zeigen, dass auch in der modernen Onkologie der individuelle Patient im Mittelpunkt steht und dass das Bemühen der Ärzte neben der Sicherung des Überlebens auch der Vermittlung von Lebensqualität gilt. Noch immer assoziiert die Öffentlichkeit mit Krebs Menschen ohne Haare, Übelkeit und die Aussichtslosigkeit aller therapeutischen Bemühungen. Die aktuellen Erfolge der Onkologie liegen aber gerade im Gewinn von Lebensqualität. Viele Patienten führen nach der Behandlung viele Jahre und Jahrzehnte lang ein nahezu normales Leben. Diese Erfolge werden in der Öffentlichkeit kaum gewürdigt und nur wenig diskutiert.
Stattdessen wird zunehmend über die Kosten von Krebstherapien gesprochen. Die Hinwendung zu diesem scheinbar einfachen, weil leicht zu beziffernden Thema ist vielleicht der Versuch, den komplexen psychologischen Zusammenhängen einer Krebserkrankung auszuweichen. Allerdings wird die Debatte über die Kosten mit ungleichen Waffen geführt. Für kaum eine komplementäre und für keine alternative Therapie gibt es Daten, die zeigen, welche Lebensverlängerung und welche Lebensqualität mit der jeweiligen Therapie verbunden sind.
Diese Daten gibt es allerdings für die wissenschaftlich begründete Medizin, und sie werden bei der Beurteilung über die Zulassung eines Medikamentes herangezogen. Viele komplementäre und alternative Präparate mögen billiger als moderne Krebsmittel sein. Aber welchen Sinn macht „billiger“, wenn die Wirkung mehr als fraglich ist? Schätzungen zufolge wird bei der Behandlung von Tumorpatienten mittlerweile genauso viel Geld für die komplementären und alternativen Therapien ausgegeben wie für die wissenschaftlich geprüften, ohne dass genau bekannt wäre, welchen Gegenwert die Patienten dafür erhalten.
Abseits anerkannter Standards
Die Politik hat zudem das strenge Kriterium des Wirksamkeitsnachweises als Grundlage für die Erstattungsfähigkeit für die sogenannten besonderen Therapierichtungen wie Homöopathie, anthroposophische Medizin und Pflanzenheilkunde aufgeweicht. Diese Wirksamkeitsnachweise werden bei den besonderen Therapierichtungen durch den Nachweis ersetzt, dass das Medikament oder die Methode traditionell Bestandteil dieser Therapierichtung ist.
Das Bundesverfassungsgericht beschloss vor vier Jahren, dass Patienten mit lebensbedrohlichen und regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen die Kostenübernahme für ärztlich angewendete Behandlungen zugesagt wird, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht und keine allgemein anerkannte und den medizinischen Standards entsprechende Behandlung zur Verfügung steht. Dieses Urteil wird von vielen Vertretern der alternativen Medizin als Öffnung der gesetzlichen Kostenerstattung für die unterschiedlichsten Verfahren gesehen. Bei den Sozialgerichten häufen sich inzwischen die Prozesse, in denen um die Erstattung alternativer Behandlungskosten gestritten wird.
Eine wissenschaftlich fundierte integrative Medizin im Blick
„Was kann ich selber tun?“ ist die Frage, mit der Patienten sich auf den Weg machen, um selber Verantwortung zu übernehmen. Deshalb ist diese Frage auch eine Chance, die Ärzte nicht verspielen dürfen. Dazu ist ein gutes Verhältnis zwischen Patienten und Ärzten erforderlich, das wieder neu gewürdigt werden muss. Zudem müssen die Fähigkeiten der Studenten und jungen Ärzte zur Kommunikation mit Patienten in einer schwierigen Lebenssituation gefördert werden.
Damit komplementäre Therapien nicht jenseits der wissenschaftlichen Medizin stattfindet, sollten sich die onkologisch tätigen Fachärzte auch mit dem Thema auseinandersetzen. Es sollte auch seriöse Weiterbildungsmöglichkeiten geben. Nicht zuletzt muss aber auch das Wissen über diese Verfahren erweitert werden, damit sinnvolle Methoden in die wissenschaftliche Medizin aufgenommen werden können. Erfahrung und Erfahrungsheilkunde, also die Beobachtung einzelner Fälle und Fallserien, können helfen, Hypothesen über deren Wirksamkeit zu formulieren.
Diese Wirksamkeit muss dann in klinischen Studien nachgewiesen werden. Den Rahmen für diese Studien können die onkologischen Fachgesellschaften mit ihren Netzwerken stellen. Die Deutsche Krebsgesellschaft machte im Jahr 2007 einen ersten wichtigen Schritt in diese Richtung, indem sie den Arbeitskreis „Komplementäre Onkologie“ schuf, der jetzt seine Fortsetzung in der Anerkennung als eigener Arbeitsgemeinschaft „Prävention und Integrative Onkologie“ findet. Und nicht zuletzt ist die Gesellschaft gefordert, eine von den Anbietern der komplementären und alternativen Therapie unabhängige systematische Forschung zu unterstützen. Dann werden wir der Vision einer wissenschaftlich fundierten integrativen Medizin für den Einzelnen wie für die Gesellschaft näher kommen.



Quelle: www.faz.net, 03.01.2010, von Jutta Hübner. 
Jutta Hübner leitet die Palliativmedizin, supportive und komplementäre Onkologie am Universitätsklinikum Frankfurt am Main.

1 Kommentar:

  1. Sehr geehrte Damen und Herren
    Mit diesem "Mail" möchte ich Sie gerne über eine neue medinische Internetplattform zum Patientenmanagement oraler Tumortherapie informieren welche die Besucher Ihres Blogs bestimmt interessieren wird: www.cancerdrugs.ch

    Cancerdrugs ist eine Webseite für medizinische Fachpersonen, die eine einfache und schnelle Suche wissenschaftlicher Informationen zum Management der oralen Tumortherapie erlaubt. Die Website liefert zudem übersichtlich fundierte Vorschläge zur Prävention und Behandlung der häufigsten Nebenwirkungen unter oraler Tumortherapie. Mit der effizienten Suchmaschine erhält der Arzt in zwei bis drei Minuten die wichtigsten Informationen zum oralen Tumormanagement und zu den einzelnen Medikamenten.

    Für weitere Informationen stehe ich Ihnen gerne per Mail (info@cancerdrugs.ch) zur Verfügung.
    Freundliche Grüsse
    Silvana Bolz

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