Montag, 24. August 2009

Die Zukunft der klinischen Forschung ist gefährdet

Ein Beitrag von Heiner Greten, Internist und Experte für die Biochemie des Lipidstoffwechsels, bis 2004 Direktor der Medizinischen Klinik I des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf:

Für einen Mediziner gibt es heute in Deutschland kaum noch Anreize, sich am Fortschritt der wissenschaftlichen Erkenntnis zu beteiligen.

...Wir sind auf dem besten Wege, die Stellung als Land klinischer Spitzenforschung einzubüßen, weil es immer seltener gelingt, begabte Nachwuchskräfte für diese klinische Forschung zu motivieren und sie dort auch auf Dauer zu halten.
Das ist umso bitterer, als Deutschland eine lange Tradition als Standort klinischer Spitzenforschung hat. ...Wir haben es mit dem bekannten Phänomen zu tun, dass wissenschaftliche Talente entweder dorthin gehen, wo sie sich bessere Chancen ausrechnen (Stichwort Amerika, Skandinavien) oder aber sich gleich für eine Tätigkeit als praktizierender Arzt entschieden....
Tatsächlich haben sich die Rahmenbedingungen für die klinische Forschung in Deutschland insgesamt verschlechtert, was darauf zurückzuführen ist, dass die Universitätskliniken heute genauso ökonomischen Zwängen unterworfen sind wie andere Kliniken auch. Das Konzept der Fallpauschalenvergütung gilt für kleine, private Kliniken genauso wie für Universitätskliniken. Von Hochschulkliniken wird deshalb erwartet, dass sie im Rentabilitätsvergleich mindestens genauso gut abschneiden wie andere Kliniken....
Das bleibt nicht ohne Folgen. Denn das Schielen auf mehr Rentabilität und die Fallkostenhonorierung engen den Spielraum der Hochschule immer mehr ein. Forschung wird zunehmend als Ballast empfunden, als "fünftes Rad am Wagen" betrachtet. Das aber widerspricht dem genuinen Grundauftrag der Universitätskliniken, die ja eben nicht allein Patienten auf hohem Niveau versorgen, sondern auch den medizinischen Erkenntnisgewinn voranbringen wollen. Es widerspricht auch den Erwartungen junger Ärzte, die gerade deswegen an ein Universitätsklinikum kommen, um in einem akademischen Umfeld wissenschaftlich tätig zu sein. Sie wollen und brauchen dort auch Phasen zum Nachdenken....
Außerdem waren und sind Universitätskliniken Ausbildungsstätten, und zwar sehr gute, jedenfalls was die grundlegende Ausbildung der Mediziner angeht...
Doch für die etwa zehn Prozent Exzellenten, die sich gerne anschließend in der Forschung profilieren würden und die akademische Führungskräfte von morgen sein wollen, tun wir zu wenig...
Anspruchsvolle Forschung lässt sich nicht zusätzlich zur Klinikroutine gewissermaßen "nach Feierabend" organisieren. Den Rücken freizuhaben für die Forschung ist deshalb ein ganz wichtiges Motiv für junge Ärzte, die nach dem Examen in Deutschland in die Vereinigten Staaten oder in andere Länder gehen, um dort an einer wissenschaftlichen Karriere zu arbeiten...
Alle Ärzte, die klinisch arbeiten, verdienen erheblich mehr als ihre Kollegen in der Forschung... Gewiss, Geld ist nicht alles, gerade in der Forschung. Aber jede noch so starke innere Motivation bröckelt, wenn as Engagement nicht wertgeschätzt, anerkannt und auch im materiellen Sinne angemessen honoriert wird, zumal dann nicht, wenn in ein und derselben Institution unterschiedliche Vergütungssysteme nebeneinander existieren.
Immerhin gibt es ein paar nennenswerte Förderprogramme, wie das Emmy-Noether-Programm oder das Heisenberg-Programm.
Überhaupt kann man der DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) attestieren, dass sie mit ihren Stipendien eigentlich alles richtig macht und Talente auf ihrem Karriereweg mit großer Fürsorge unterstützt. Ob Ähnliches auch für die Exzellenz-Initiative zutrifft, muss sich in der Praxis erst noch herausstellen...
An den meisten Hochschulen hält sich die Humboldtsche Vorstellung von der Trias aus Lehre, Forschung und Krankenversorgung in einer Person. Von dieser Idealvorstellung müssen wir uns verabschieden, weil ein Einzelner nicht mehr im Stande ist, diese einzulösen. Man muss endlich den Mut haben, dies zu trennen.

(Quelle: FAZ, 13.05.09)


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