Montag, 17. August 2009

Ein Schweigekartell der Grausamkeiten?

Misshandelte Kinder sind weder Einzelfälle noch Delikte einer sozialen Schicht. Ein Frankfurter Arzt und Gutachter rüttelt auf und klagt an: Eltern, Behörden, Kinderärzte.


In Deutschland geht man davon aus, dass jährlich vier bis zehn Kinder je hunderttausend Einwohner misshandelt werden, mehrere hundert sterben an den Folgen. Die Dunkelziffer ist vermutlich aber viel höher. Erstaunlich ist vor allem, wie wenig offenbar unternommen wird, die Verdachtsfälle genauer zu ergründen.
Kinderarzt Gert Jacobi fordert in seinem Buch „Kindesmisshandlung und Vernachlässigung“ (Verlag Hans Huber) eine rigorose Untersuchung beim sogenannten plötzlichen Kindstod.
Der Frankfurter Mediziner hat selbst 234 misshandelte Kinder in einer drei Jahrzehnte währenden Tätigkeit als Kinderneurologe an der Universitätsklinik Frankfurt behandelt und begutachtet. Nicht nur mit Schlägen werden Kinder gequält. Herbeigeführte Stürze aus großer Höhe, Verbrühungen, Verhungern- und Verdurstenlassen oder Aussetzen zählen ebenso dazu wie „spurenarme“, schwer erkennbare Tötungsdelikte durch Ersticken, Schütteln oder Manipulieren des Herzschlags…


Kinderärzte sollten gegenüber den Entschuldigungen der Eltern, die verletzte Kinder zu ihnen brächten, schlicht noch misstrauischer sein, mahnt Jacobi…
Im Jahr 2005 wurde in den Vereinigten Staaten eine eigene Ausbildungsrichtung für den „Child Abuse Pediatrician“ geschaffen. Das ist ein Kinderarzt, der sich mit allen Aspekten von Misshandlung vertraut gemacht hat. Denn Pädiater oder auch Rechtmediziner sind hierfür nicht von vornherein genügend ausgebildet.
Niedergelassene Kinderärzte forderten schon vor zwei Jahren eine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht, damit bereits dem hinreichenden Verdacht von Misshandlung und Vernachlässigung leichter nachgegangen werden kann.
(Quelle: FAZ, 15.04.09)

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